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Im Juli und August 2007 litt Lydia ab und zu unter Rückenschmerzen. Der Arzt sagte wahrscheinlich was verrenkt. Es war auch nicht so furchtbar schlimm. Wir haben es nicht weiter beachtet. Ein bisschen müde und schlapp war Lydia, aber ich dachte, das kommt von der anstrengenden Schule (Gymnasium; jeden Tag lange mit dem Bus unterwegs…).

Ich dachte jetzt sind bald Ferien, da kann sie sich erholen.

Lydia fuhr mit ihrer Freundin für 10 Tage ins Ferienlager. Was mir auffiel, sie rief öfters mal an, was sonst eigentlich selten der Fall war. Sagte das Essen schmeckt nicht und dass alles so anstrengend ist. Beim Banana-Boot-Fahren ist sie auch noch ins Wasser gefallen und jetzt sind die Rückenschmerzen wieder schlimmer.

Als sie wieder zu Hause ankam, sah sie furchtbar elend und dünn aus. Ich war zwar leicht beunruhigt, dachte aber nur, dass dieses Ferienlager wohl wirklich keine Erholung war und das Essen furchtbar gewesen sein muss.
 
Hab gedacht wir verbringen jetzt in Ruhe und Gemütlichkeit ein paar schöne Ferientage und dann geht es ihr wieder besser.

Aber daraus wurde nichts. Lydia ging es nicht gut. Sie hatte keinen Appetit und kaum Lust was zu unternehmen. Ständig war sie müde und schlief sogar am Tag einfach ein, wenn sie sich hinlegte. Schmerzen im Bein hatte sie auch. Immer mal an einer anderen Stelle, aber ziemlich stark.

Das habe ich mir zwei Tage mit angesehen, dann bin ich mit ihr zum Arzt gegangen.

Dort konnten sie sich auch nicht so recht einen Reim darauf machen und haben  gleich Blut gezogen.
 
Lydia sagte im Laufe des Tages, dass die Schmerzen immer schlimmer wurden. Ich muss aber ehrlich sagen, dass ich ihr nicht geglaubt habe, dass es so schlimm ist, wie sie sagt. Dachte sie übertreibt. Von wegen die Tablette hilft nicht. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass die Schmerzen so schlimm sein sollten. Das tat mit danach von Herzen leid. 

Als wir am nächsten Tag zur Auswertung zum Arzt gegangen sind, sagte man uns, dass einige Blutwerte nicht in Ordnung sind. Da es Freitag war und es Lydia wirklich nicht gut ging sollten wir zur Abklärung lieber ins Krankenhaus gehen.

So kam Lydia Ende August in Torgau ins Kreiskrankenhaus. Dort hat man wieder Blut gezogen, sie mit Schmerztabletten „gefüttert" und gesagt das ist bestimmt nichts Schlimmes, wahrscheinlich eine Muskelzerrung. Wir sollen uns keine Sorgen machen.

Als es nach fünf Tagen nicht besser wurde, entschied man sich endlich ein MRT zu machen.

Ab da war dann das Geschrei groß. Lydia hatte eine pathologische Fraktur des 12. Brustwirbels und andere Rückenwirbel waren ebenfalls beschädigt! Ab sofort durfte sie nur noch liegen. Alle waren schockiert. Selbst die Ärzte.

Bei der Frage nach möglichen Ursachen: Achselzucken und abenteuerliche Vermutungen, wie Knochentuberkulose.

Fakt war, das Kreiskrankenhaus war damit völlig überfordert und am nächsten Tag wurde Lydia nach Leipzig in die gerade neu eröffnete Uni-Klinik für Kinder verlegt. Ich hatte noch Urlaub, so konnte ich die ganze Zeit für sie da sein und versuchen ihr ein bisschen die Angst zu nehmen und sie zu trösten.

In Leipzig wurde sie dann völlig auf den Kopf gestellt. Es wurden alle möglichen Untersuchungen gemacht: MRT, CT, PET, Ultraschall und Unmengen von Blutentnahmen.

Irgendwann stand fest, dass sie noch an mehreren Knochen im Körper auffällige Stellen hat. Auch im Becken. Dort wurde dann irgendwann eine Biopsie gemacht.

Tage später, ich hatte gerade schweren Herzens zwei Tage wieder mit der Arbeit angefangen, da kam das vernichtende Ergebnis: Ewing-Sarkom Stadium IV! Überlebenschancen: 10-15%!

Für uns brach eine Welt zusammen. Bis zum Schluss hatten wir immer noch gehofft, dass es nicht so schlimm ist. Dass es nichts Gutes ist, war uns ja klar, aber so schlimm. Wir konnten es nicht fassen!

Lydia hatte einen sehr großen Tumor im Becken (wahrscheinlich der Primärherd), die Wirbelsäule war betroffen (incl. der pathologischen Fraktur eines Wirbels), noch etliche Stellen an anderen Knochen (Schulter, Oberschenkel...) und 6 kleine Lungenmetastasen. Also Wahnsinn!

In der Zeit während die Diagnostik lief, ging es Lydia immer schlechter. Sie konnte kaum essen und hatte furchtbar abgenommen, war nur noch Haut und Knochen. Mit der Höchstdosis der herkömmlichen Schmerzmittel kam sie kaum noch um die Runden.

Das hieß wir mussten schnellstmöglich handeln. Am nächsten Tag bekam sie einen Broviac-Katheter gelegt. Ich war zum letzten Mal auf Arbeit, denn eins war klar, wenn Lydia jetzt irgendwas brauchte, dann liebevollen Beistand und Trost.

Am 12.09.2009 zog ich ins Mc Donald Elternhaus ein und Lydias erste Chemo (VIDE-Zyklus), bestehend auf vier verschiedenen Medikamenten, begann.

Leider kamen schon da die ersten großen Probleme auf uns zu: Lydia bekam einen anaphylaktischen Schock auf eins der Chemo-Medikamente (Etoposid). Schlagartig schwoll alles an. Sie bekam keine Luft mehr und hatte fruchtbare Panik.
Sie bekam aber gleich ein Medikament (Prednisolon in hoher Dosis) und Sauerstoff, so dass sich ihr Zustand relativ schnell wieder stabilisierte. Aber eins war klar, wir brauchten ein Ersatzmedikament für Etoposid. Dafür bekam Lydia bei den folgenden Zyklen Actinomycin - geht auch, aber ist eben nicht die erste Wahl.

Durch insgesamt 6 von diesen Chemo-Zyklen hat sich Lydia tapfer und eisern durchgekämpft, aber die Nebenwirkungen waren furchtbar. Die Chemotherapie bei Ewing-Sarkom ist extrem hart. Da waren die ausfallenden Haare mit Abstand das kleinste Problem. Lydia hat gebrochen ohne Ende. Konnte gar nichts essen und musste z.T. ernährt werden. Die Schleimhäute sind kaputt gegangen, so schlimm, dass die Schmerzen mit Morphin behandelt werden mussten. 

Kinderklinik Jena - erste Transplantation


Aber insgesamt ging es aufwärts, die Chemos schlugen an. Die Tumorschmerzen waren weg. Wegen der Wirbelfraktur durfte Lydia nur mit einem Korsett aufstehen, das war zwar mühsam, aber sie gewöhnte sich daran. Auch die Bildgebung bestätigte es, der Tumor war im Rückgang, die große Stelle im Becken war etwas kleiner geworden und die Lungenmetastasen waren nicht mehr zu sehen.

Nach den 6 Chemo-Blöcken waren wir dann im Februar 2008 zur Hochdosis-Chemo mit anschließender autologer Stammzelltransplantation in Jena, da eine OP ja nicht in Frage kam, bei den vielen Stellen. Die Hochdosis-Chemo und anschließende Transplantation hat Lydia eigentlich ganz gut verkraftet, letztlich waren die Nebenwirkungen erträglicher, als bei den ersten Chemo-Blöcken.

Danach sind wir wieder an die Uni-Klinik nach Leipzig zurück gegangen und haben angefangen Stück für Stück die einzelnen betroffenen Stellen zu bestrahlen, da man ja so viel nicht auf einmal bestrahlen kann.
Drei Bereiche haben wir geschafft. In dieser Zeit ist Lydia wieder richtig aufgeblüht. Sie konnte wieder Essen und hat zugenommen. Die Haare sind gewachsen und die Nebenwirkungen der Bestrahlung waren kaum zu merken.
Wir hatten tatsächlich Hoffnung, dass vielleicht doch noch alles gut wird. Die Bildgebung sagte: "Im Moment keine aktiven Tumorherde nachweisbar." und ich begann mich zum ersten mal in dieser nervenaufreibenden Zeit, die immer nur von Angst geprägt war, etwas zu entspannen.

Sommer 2008 - Lydia beim Minigolf


Im September 2008 hatte Lydia am Hinterkopf eine Beule. Die Ärzte in Leipzig haben sie allerdings nicht so ernst genommen. Erst als wir auf Klärung bestanden, wurde der Sache nachgegangen. Es war eine neue Metastase! Daraufhin versuchten die Ärzte die Metastase operativ zu entfernen. Hat soweit auch geklappt, aber da ein großes Blutgefäß unmittelbar daneben lag, konnte die Stelle aber leider nicht im Sicherheitsabstand operiert werden. Durch die unmittelbare Nähe des großen Blutgefäß, war auch die Gefahr der Streuung sehr groß. 
Anschließend bekam Lydia Chemo-Therapie aus dem Rezidiv-Protokoll (Cyclophosphamid und Topotecan), kombiniert mit Bestrahlung. Allerdings wurde sehr schnell klar, dass ihr vorgeschädigtes Knochenmark das auf keinen Fall lange mitmacht.

Alternativ dazu bot man uns in Jena ein experimentelles Verfahren an: die haploidente Stammzelltransplantation. Das heißt, das Kind bekommt Stammzellen eines Elternteils (bei uns vom Vati). Ein ganz großer Teil der nicht passenden Zellen (denn es passt ja in diesem Fall nur zur Hälfte), wird vorher in einem sehr komplizierten Verfahren rausgefiltert, um eine Abstoßung zu vermeiden.
Das neu transplantierte Immunsystem soll dann die Krebszellen als fremd und böse erkennen und bekämpfen (theoretisch).

Nach zwei Rezidiv-Chemoblöcken fand dann wieder Diagnostik statt, mit dem Ergebnis, dass es im Kopf zwar gut aussah, aber wieder neue Lungenmetastasen da waren. Zwar noch klein, aber auf alle Fälle zu viele, um sie zu operieren. Das hieß: Chemo versagt!

So haben wir uns dann gemeinsam (Lydia wollte es auch) im Januar 2009 als letzte Option für die haploide Stammzelltransplantation entschieden.
Das war schon ein sehr gewaltiger Eingriff. Die Transplantation hat zwar geklappt, aber Lydia hatte viele Probleme mit Virusinfektionen und Abwehrreaktionen des Körpers gegen das fremde Immunsystem (GvH).
Es war immer ein ständiger Balanceakt zwischen den verschiedenen aktuellen Problemen. Das ist wahnsinnig komplex und schwer zu erklären. Medikamente, die z.B. gegen eine zu starke Abwehrreaktion des Körpers helfen, sind wieder Teufelszeug für die anderen Krankheitsbelange, wie z.B. das Tumorwachstum und die Viren, weil diese Medikamente die gesamte Körperabwehr beeinträchtigen.

Aber jedes dieser Probleme kann bei Nichtbehandlung lebensgefährlich werden, so dass man auch keines davon ignorieren kann. Die ganzen theoretischen Überlegungen, die wir natürlich auch angestellt haben, was man am besten macht, haben uns manchmal so verrückt gemacht, dass uns der Schädel gebrummt hat.


Auf jeden Fall mußte Lydia lange in Jena in der Klinik bleiben und auch dan öfters wieder rein. Ihr Körper war von all der Therapie und den vielen Medikamenten inzwischen wirklich sehr geschädigt, so dass sie inzwischen auch Probleme z.B. mit dem Herzen, der Leber und den Nieren hatte. Ihr ganzer Körper war irgendwie verändert. 

Im Mai 2009 zeigte sich dann leider in der Diagnostik, dass der gewünschte Therapieerfolg ausgeblieben war: die vorhandenen Lungenmetastasen waren gewachsen, neue dazu gekommen. Für uns ein vernichtendes Ergebnis.

Wir haben dann noch versucht palliativ eine andere leichte Chemotherapie zu beginnen, um das neu transplantierte Knochenmark und damit das Abwehrsystem vielleicht doch noch auf den Tumor aufmerksam zu machen. Aber das hat ihr empfindliches neues Knochenmark und ihr geschundener Körper einfach nicht mehr mitgemacht. Dazu kam noch eine böse Herpesinfektion und massiver Durchfall. Lydia hat sich nur gequält. Daraufhin haben die Ärzte dann die Chemo abgebrochen.

Eine andere Möglichkeit, war noch die Bestrahlung der Lunge. Dafür sind wir dann wieder nach Leipzig zurück gegangen. Eine komplette Bestrahlung der Lunge nach den vielen Therapien, die Lydias Körper schon mitgemacht hat, hätte lebensgefährliche Nebenwirkungen mit sich gebracht. Das konnten die Ärzte nicht verantworten. Daraufhin haben wir dann versucht die Lunge Stück für Stück zu bestrahlen, aber wir haben nur einen Bestrahlungszyklus geschafft, denn inzwischen hatte Lydia eine neue Metastase im Rückenmarkskanal mit drohender Querschnittslähmung. Wenigstens die Lähmung konnten wir ihr durch eine schnell durchgeführte Strahlentherapie ersparen.

Aber diese erneute Metastase war dann letztlich das Therapieende.  
Die Ärzte konnten nichts mehr für Lydia tun, um sie zu heilen. Der Krebs war zu mächtig und zu aggressiv. 

Eventuell hatten wir noch über palliative Chemo-Tabletten gesprochen, die sie hätte zu Hause nehmen können, denn bis zu diesem Zeitpunkt fand Lydia und auch wir ihr Leben noch lebenswert, aber soweit sind wir gar nicht mehr gekommen. Lydia hatte immer wieder andere Probleme, erst die Gesichtsrose, dann wieder Durchfall und Fieber. So dass wir mit den Chemo-Tabletten nicht anfangen konnten.

Anfang Oktober ging es Lydia zunehmend schlechter. Die Diagnostik zeigte, dass die Lungenmetastasen wahnsinnig gewachsen waren und unserer Lydia auf dieser Welt nicht mehr viel Zeit blieb.  
Wir waren dann noch zirka 14 Tage zu Hause, haben wie immer versucht das Beste daraus zu machen. Haben z.B. noch einen tollen Ausflug gemacht, den sich Lydia gewünscht hat.

In der letzten Woche mussten wir hilflos mit ansehen, wie unsere Lydia immer schwächer wurde, es ihr immer schlechter ging. Sie war ständig müde, vieles war zu anstrengend. Die paar Treppenstufen zu unserer Wohnung wurden fast zum unüberwindbaren Hindernis. Essen konnte sie kaum, musste sich oft übergeben. Sie hat uns so unendlich leid getan. Wir hätten ihr dieses Elend so gern abgenommen. Dabei war sie so wahnsinnig tapfer, dass man es sich kaum vorstellen kann. Sie hat dieses Schicksal einfach ertragen, ohne viel zu klagen. Sie hat es akzeptiert.

Am 20.10.2009 mussten wir dann ins Kinderhospiz "Bärenherz" in Leipzig gehen, weil es Lydia immer schlechter ging und sie Sauerstoff brauchte. Wir hatten uns das Hospiz schon im Vorfeld gemeinsam mit Lydia angesehen, da weder Lydia, noch wir in die Klinik gehen wollten.

Dort, im Hospiz, ist sie am frühen Morgen des 23.10.2009 eingeschlafen. Wir waren als Familie bei ihr und haben sie soweit wie es uns möglich war begleitet.

Ich weiß es ist ein furchtbar langer Text geworden, aber Lydias Krankheitsgeschichte ist halt auch lang. Ich hoffe, der Umfang "erschlägt" niemanden.

Abschließend kann ich dazu nur sagen, dass wir letzten Endes dankbar sind, dass wir dem Krebs wenigstens noch so viel Lebenszeit abringen konnten. Wir haben versucht diese Zeit ganz bewußt zu erleben und zu genießen, wann immer es ging. 
Lydia war bis auf wenige Tage und die letzte Woche immer ziemlich gut drauf, war immer aktiv, hat ganz viel gebastelt und hatte immer Pläne. Woher sie die Kraft dazu nahm, wissen wir nicht. Aber wir bewundern sie dafür und sind sehr stolz auf sie.
Wir lieben sie von Herzen und sie wird immer ein ganz wichtiger Teil in unserem Leben sein.